Die Brückenstraße heißt jetzt Karl-Elgaß-Straße. Zumindest galt das für den 09. Juni 2012, an dem eine symbolische Umbenennung durchgeführt wurde.
Während des Festes für Demokratie direkt vor dem Bahnhof Schöneweide wurde die Aktion vorgestellt und anschließend das mit Karl Elgaß beschriftete Straßenschild angebracht. Heute ist von dieser symbolischen Aktion nichts mehr zu sehen, die Idee und der Name jedoch werden in Erinnerung bleiben, an einer offiziellen Umbenennung wird weiter gearbeitet!
Wer aber nun ist dieser Karl Elgaß und was hat das mit der Brückenstraße zu tun? In der Brückenstraße 26, dort wo einst ein Wohnhaus stand, ist heute Brachland. Die Brückenstraße ist heute bekannt für die Ansammlung von Geschäften, die von Neonazis betrieben werden, die versuchen, einen „nationalen“ Kiez zu schaffen. An die antifaschistischen Widerstandskämpfer, die hier lebten, erinnert heute nichts mehr. Auch nicht in der Brückenstraße 26, in der Karl Elgaß lebte.
Geboren am 3. Juni 1900 in Saarbrücken, siedelte der Sohn eines Werkmeisters 1917, also mitten in den Wirren des Ersten Weltkriegs, nach Berlin über, um in den Waffenwerken Oberspree im Südosten Berlins als Maschineneinrichter zu arbeiten. Hier bekam er Kontakte zu linken gewerkschaftlichen Kreisen und wurde im Dezember 1918 Mitglied des Spartakusbundes, der sich aus oppositionellen Sozialdemokrat_innen, die den Kriegskurs ihrer Partei nicht mehr mittragen wollten, zusammen setzte und später in der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) mündete. Auch Karl Elgaß schloss sich zusammen mit seinem Bruder Josef der KPD an, organisierte Streiks und warb in den Großbetrieben an der Spree für die kommunistische Idee. Die Hoffnung, dass eine kommunistische Revolution Kriege, Hunger und Armut ein für alle Mal beenden würde, war in großen Teilen der Arbeiterschicht (damals auch als Proletariat bezeichnet) weit verbreitet.
Der Arbeiter Karl Elgaß widmete fortan sein Leben der KPD: Seit 1929 war er als hauptamtlicher Funktionär seiner Partei in Treptow tätig. Für die KPD saß er zwischen 1929 und 1933 in der Bezirksversammlung Treptow und ab 1932 sogar im Reichstag, dem Parlament der Weimarer Republik.
Die nationalsozialistische Machtübernahme veränderte alles: Die Vereidigung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 war zugleich der Startschuss für die gnadenlose Verfolgung und vielfache Ermordung von politischen Gegner_innen, wie Sozialdemokrat_innen, Kommunist_innen, Gewerkschafter_innen, Humanist_innen usw., sowie Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, sogenannte „Asoziale“ usw.
Am 14. Juli 1933 wurde Karl Elgaß in Breslau (heute Wrocław in Polen) von Männern der nationalsozialistischen SA verhaftet und gefoltert. Schließlich verurteilte ihn der Volksgerichtshof, ein nationalsozialistisches Sondergericht, das Tausende Menschen auf staatliches Geheiß ermorden ließ, zu einer Strafe von drei Jahren Zuchthaus. Anschließend blieb Elgaß im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Erst 1939 wurde er freigelassen. Trotzdem suchte Karl Elgaß den Kontakt zu antifaschistischen Widerstandsgruppen. Er engagierte sich in der sozialistischen Gruppe „Neu Beginnen“.
Nach Ende des Krieges – im April 1945 wurde Treptow von den Soldaten der Roten Armee befreit – wurde Karl Elgaß als stellvertretender Bezirksbürgermeister des Berliner Stadtteils eingesetzt. 1946 wurde er zudem Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die er aber 1948 schon wieder verließ. Im Zuge des Kalten Krieges und der sich verschärfenden Blockkonfrontation geriet Elgaß nämlich mit seiner Partei aneinander. Er resümierte in seiner Austrittserklärung, man sei „vor Aufgaben gestellt, die mit Demokratie und Toleranz nichts mehr zu tun hatten. Somit scheide ich aus der SED freiwillig aus.“
Karl Elgaß ging nach West-Berlin und schloss sich der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) an, für die er im damaligen Bezirk Steglitz verschiedene Ämter bekleidete. Von 1954 bis 1958 saß er in der Bezirksverordnetenversammlung, zwischen 1958 und 1962 war er Vorsitzender der SPD in Steglitz. 1959/60 sowie von 1963 bis 1967 wirkte er für die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Schließlich verstarb Karl Elgaß am 4. Mai 1985 in West-Berlin.
Die vielschichtige Geschichte des Karl Elgaß ist heute fast vergessen. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung an die vielen Antifaschist_innen wach zu halten. Gerade in einem Kiez wie Schöneweide, in dem sich Neonazis breit machen und ihre Strukturen verfestigen wollen, ist diese geschichtliche Perspektive wichtig. Über mutige Menschen wie Karl Elgaß kann Geschichte erfahrbar gemacht werden. Sie lebten hier in Schöneweide, sie lebten hier in der Brückenstraße. Und so, wie Elgaß und andere damals gegen die nationalsozialistische Unterdrückung gekämpft haben, so wollen wir auch heute den neuen Nazis in der Brückenstraße keinen Platz lassen. Karl Elgaß ist dabei ein Symbol, die Brückenstraße wieder zu einem lebenswerten und vielfältigen Ort ohne menschenverachtendes Gedankengut und Übergriffe werden zu lassen.
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